Zur Behandlung der Hüftdysplasie bei Erwachsenen gibt es zwei Standardoperationen: die Triple-Osteotomie und die PAO. Viele Betroffene sind unsicher, welches OP-Verfahren das richtige für sie ist. Der Orthopäde Professor Dr. med. Henning Windhagen, Direktor der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover, hat mit beiden Methoden langjährige Erfahrungen. Ein Gespräch.
Triple-Osteotomie oder PAO: Es hat sich viel verändert
Machen wir zuerst eine Zeitreise: Wer vor 20 Jahren als erwachsener Mensch die Diagnose Hüftdysplasie bekam und nach Behandlungsmöglichkeiten suchte, stieß sehr bald auf zwei Begriffe: „Triple-Osteotomie“ und „Dortmund“. Die Triple-Osteotomie (auch unter dem Namen „Dreifache Beckenosteotomie“ bekannt) ist ein OP-Verfahren, bei dem die drei Beckenknochen, die die Hüftpfanne bilden, durchtrennt werden, sodass die Hüftpfanne in eine günstigere Position gebracht werden kann. Diese Operationsmethode wurde in den 70-er Jahren in Dortmund entwickelt und seither schwerpunktmäßig an den Städtischen Kliniken Dortmund (heute „Klinikum Dortmund“) eingesetzt. Damals gab es nicht viele andere Standorte in den DACH-Ländern, an denen die OP in nennenswerter Zahl durchgeführt wurde.
Zurück ins Jahr 2021: Nach wie vor ist die Dreifache Beckenosteotomie eine Standardoperation zur Behandlung der Hüftdysplasie. Neben Dortmund verfügen viele weitere Kliniken im deutschsprachigen Raum über Expertise mit diesem Verfahren. Einige Häuser haben seine Nachbehandlung abgewandelt: So gibt es den Eingriff auch in einer Variante mit „kurzer Nachbehandlung“, bei der Patient:innen recht schnell nach der OP wieder beugen, sitzen und früher wieder belasten dürfen.
Heute kommt hierzulande aber auch eine zweite OP-Methode standardmäßig zum Einsatz: die Periazetabuläre Osteotomie (PAO). Inzwischen haben sich viele Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dieses Verfahren spezialisiert. Die PAO hat ebenfalls die Neuorientierung der Hüftpfanne zum Ziel, aber anders als bei der Triple-Osteotomie erfolgen die Knochenschnitte um die Hüftpfanne herum („periazetabulär“). Sitzbein und Darmbein werden nicht vollständig durchtrennt, der hintere Beckenring bleibt bei der PAO intakt.
Erwachsene, die heute die Diagnose Hüftdysplasie bekommen und online nach Informationen suchen, werden zügig auf Vergleiche zwischen PAO und Triple-Osteotomie stoßen. In Foren oder Facebook-Gruppen, in denen Betroffene sich austauschen, finden sie auch Aussagen wie: „Warum sollte ich mir eine Triple-Osteotomie antun, wenn ich nach der PAO doch viel schneller wieder fit bin?“ Das verunsichert vor allem jene Patient:innen, denen ein Spezialist oder eine Spezialistin für Hüftdysplasie zuvor zur Dreifachen Beckenosteotomie geraten hat.
Experteninterview mit Prof. Dr. med. Henning Windhagen
Der Orthopäde Professor Dr. med Henning Windhagen kennt beide Verfahren sehr genau und kann Orientierung geben. Er ist Direktor der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover im Annastift, einer von nur wenigen Kliniken in Deutschland, an denen beide OP-Methoden vorgenommen werden. Wie haben sich die Triple-Osteotomie und die PAO in den vergangenen Jahren entwickelt? Für wen kommt welcher Eingriff infrage? Und hat die eine Operation deutliche Vorteile der anderen gegenüber? Darüber habe ich mit ihm im Interview gesprochen.
Leben mit Hüftdysplasie: Herr Professor Windhagen, an Ihrer Klinik ist sowohl die Triple-Osteotomie als auch die Periazetabuläre Osteotomie (PAO) möglich. Welche Operation führen sie häufiger durch?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Wir nehmen heute weitaus häufiger die PAO vor. In den letzten zwanzig Jahren hat sich viel verändert: Es hat einen Shift von der Dreifachen Beckenosteotomie nach Tönnis und Kalchschmidt hin zur Periazetabulären Osteotomie nach Ganz gegeben. Vor 15 Jahren haben wir im Annastift noch ausschließlich die Triple-Osteotomie gemacht, inzwischen beträgt ihr Anteil an den Operationen, die wir bei Hüftdysplasie durchführen, unter fünf Prozent.
Leben mit Hüftdysplasie: Unterscheiden sich denn die Ergebnisse beider OP-Techniken?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Nein, hinsichtlich der Resultate lassen sich keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Früher dachte man, dass sich die PAO nur bei weniger stark ausgeprägten Hüftdysplasien mit einem nicht allzu spitzen CE-Winkel eignet – dass man also, wenn der CE-Winkel gegen 0 geht oder sogar negativ ist, besser auf die Triple-Osteotomie zurückgreift. Heute wissen wir, dass die PAO nahezu dasselbe Korrekturpotenzial hat.
Der CE-Winkel (englisch: „Center Edge Angle“, auf deutsch auch „Zentrum-Ecken-Winkel“ genannt) ist entscheidend bei der Beurteilung einer Dysplasie. Er gibt Auskunft darüber, wie gut die Hüftpfanne den Hüftkopf überdacht. Seine Schenkel werden von der Längsachse des Körpers und der Verbindungslinie von der Hüftkopfmitte zum oberen Pfannendachrand gebildet. Bei Erwachsenen sollte dieser Winkel größer als 26 Grad sein. Bei einem CE-Winkel von weniger als 20 Grad liegt eine Hüftdysplasie vor. Ein CE-Winkel < 15 Grad ist „sicher pathologisch“.
Leben mit Hüftdysplasie: Warum entscheiden Sie trotzdem vereinzelt für die Triple-Osteotomie? Oder anders: Wovon hängt es ab, ob Sie doch eher zur Dreifachen raten?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Wir entscheiden zum einen dann für die Dreifache, wenn ein Patient oder eine Patientin ein sehr schmales Becken hat, sodass man Schwierigkeiten hätte, Schrauben sicher zu verankern. Zum anderen erwägen wir die Triple-Osteotomie, wenn der CE-Winkel extrem gering ist, das heißt, wenn der Hüftkopf nur sehr schlecht überdacht wird. Bedingung für die Triple-Osteotomie ist, dass keine extreme Fehlstellung in der Saggitalebene vorliegt. Das bedeutet: Die Hüftpfanne darf nicht stark nach vorn oder nach hinten kippen. Prinzipiell ist die Triple dann auch geeignet, die PAO aber wesentlich eleganter.
PAO oder Triple? Unterschiede während und nach der OP
Leben mit Hüftdysplasie: Was sind die zentralen Unterschiede während des Eingriffs?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Die PAO ist der schnellere Eingriff. Die Operation ist kürzer und geht aufgrund der geringeren Zeit mit weniger Blutverlust einher. Anders als bei der Triple-Osteotomie müssen wir den Patienten oder die Patientin während der OP nicht umlagern. Allerdings ist die Periazetabuläre Osteotomie auch schwerer zu operieren. Bei der Dreifachen setzt man drei glatte Schnitte „geradeaus“. Bei der PAO setzt man einen Kantenschnitt und muss ertasten, wo man meißeln muss.
Leben mit Hüftdysplasie: Was sind die häufigsten Komplikationen?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Bei der Triple-Osteotomie bleibt die Stabilität im Becken nicht erhalten. Hier kann es eher zu Pseudarthrosen am Schambein kommen – allerdings können diese auch nach einer PAO auftreten. Bei der PAO ist die Gefahr leicht erhöht, dass man nicht die perfekte Reposition erreicht.
Leben mit Hüftdysplasie: Wer sich online über die Vorteile der PAO gegenüber der Triple-Osteotomie informiert, liest, dass der Geburtskanal unverändert bleibe und Frauen nach diesem Eingriff normal gebären können. Geht das denn nach der Triple-Osteotomie nicht mehr?
Prof. Dr. med. Henning Windhagen: Dieser Punkt galt immer als besonders starkes Argument für die PAO. Eine Geburt ist nach einer Periazetabulären Osteotomie jedenfalls mit Sicherheit nicht schwerer. Das bedeutet jedoch nicht, dass Frauen nach einer Dreifachen Beckenosteotomie zwangsläufig fürchten müssen, nicht mehr normal gebären zu können. Es gibt dazu keine vergleichenden Studien. Bei Kongressen, die ich besucht habe, konnten die Operateure der Triple-Osteotomie immer wieder belegen, dass auch nach ihrem Eingriff in den allermeisten Fällen eine ganz normale Geburt möglich ist. So hat es sich auch bei unseren Patientinnen verhalten.
Hat die Triple-Osteotomie bald ausgedient?
Leben mit Hüftdysplasie: Die Periazetabuläre Osteotomie ist nicht nur der schnellere Eingriff. Im Unterschied zur Triple-Osteotomie mit langer Nachbehandlung können Patient:innen nach der PAO gleich wieder beugen und sitzen. Ist sie also schlichtweg die bessere OP?
Prof. Henning Windhagen: Das würde ich nicht so absolutistisch betrachten. Bei beiden ist der Grundgedanke gleich, beide sind dreidimensionale Rekonstruktionen, mit denen sich sehr gute Hüftpfannenkorrekturen erreichen lassen. Und wie schnell Operierte wieder fit werden, ist immer auch eine individuelle Frage. Einige Patienten können wir nach der PAO schon nach vier Tagen entlassen, andere bleiben zehn Tage in der Klinik. Im Allgemeinen ist die PAO gegenüber der Triple-Osteotomie aus Patientensicht aber durchaus vorteilhaft. Insofern kann man schon sagen, dass sich alles in die richtige Richtung entwickelt.
Leben mit Hüftdysplasie: Heißt das, dass die Dreifache Beckenosteotomie in absehbarer Zeit ausgedient hat? Wie beurteilen Sie die Entwicklung mit Blick auf die Zukunft?
Prof. Henning Windhagen: Ich halte es für möglich, dass die Triple-Osteotomie in einigen Jahren kaum noch durchgeführt wird. Das hat vor allem folgenden Grund: Die Dreifache Beckenosteotomie ist weitgehend auf Deutschland und Österreich beschränkt geblieben. Die PAO hingegen hat sich von der Schweiz aus auch anderswo durchgesetzt und wird international weitaus häufiger vorgenommen. Nachwuchs-Operateure hierzulande lernen heutzutage fast nur noch die PAO. Die Triple-Osteotomie wird unterdessen kaum mehr weiterentwickelt. Darüber hinaus hat sich die Diagnostik im Babyalter stetig verbessert, sodass es von Jahr zu Jahr immer weniger erwachsene Patient:innen mit schweren Dysplasien gibt.
Leben mit Hüftdysplasie: Vielen Dank für dieses Gespräch!
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Hallo,
Ich habe letzte Woche mit 40 meine HD-Disgnose bekommen und warte jetzt auf die Ergebnisse des MRT um die Schädigung des Knorpels festzustellen.
Um eine OP werde ich wohl nicht herumkommen.
Dieses Interview hat mir sehr geholfen, die beiden OP-Varianten einzuordnen und etwas informiert zu sein.
Vielen Dank dafür.
Liebe Sonja, das freut mich. Ich wünsche Dir alles Gute, was auch immer da nun gemacht wird.
Hallo Susanne,
Danke für deine tolle Arbeit!! Ich bin 37 und kämpfe seit 17Jahren mit der Entscheidung ob OP oder nicht. 5 Spezialisten, 5 Meinungen. Irgendwann habe ich alles verdrängt. Jetzt mit bald 40 und zunehmender Leistenproblematik holt mich das Thema wieder heim. Ich frage mich, ob das Thema KI vllt noch einen Fortschritt bringt….
Liebe Grüße Amelie
Liebe Amelie,
dein Kommentar ist mir durchgerutscht, ich seh ihn erst jetzt. Wenn die Schmerzen bislang nicht sooo stark und einschränkend waren, kann ich schon verstehen, dass man das dann auch verdrängt. Ich hoffe, du findest eine gute Lösung für dich. Alles Gute!