Was ist eine Hüftdysplasie?
Symptome, Behandlung, Operationen und Prognosen bei Kindern und Erwachsenen: wichtige Informationen rund um die Hüftdysplasie im Überblick.
Hüftdysplasie bei Erwachsenen und Kindern: Begriffserklärung
Eine Hüftdysplasie, auch Hüftgelenksdysplasie, ist eine Fehlstellung der Hüfte. Sie ist die häufigste angeborene Skelettentwicklungsstörung des Menschen. Laut dem Orthopäden Dr. med. Matthias Pothmann, Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus in Unna und Autor des Leitfadens „Hüftdysplasie und Morbus Perthes“, kommen in Deutschland jedes Jahr zwei bis fünf Prozent aller Babys mit dieser Fehlbildung zur Welt. Da das Gelenk mit der Geburt noch nicht vollständig entwickelt ist, kann die Hüftdysplasie aber auch danach noch erworben werden. Sie tritt bei Mädchen weitaus häufiger auf als bei Jungen. Dr. Pothmann zufolge sind Mädchen fünf- bis siebenmal häufiger betroffen, die Gründe dafür sind jedoch unklar.
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„Hüftdysplasie & Morbus Perthes: Leitfaden für Eltern, Betroffene, Physiotherapeuten und Ärzte“* von Dr. Matthias Pothmann informiert verständlich über Entwicklung und Anatomie der Hüftgelenke sowie über operative und nichtoperative Behandlungsmöglichkeiten.
Die Hüftdysplasie tritt in etwa 40 Prozent der Fälle auf beiden Seiten auf. Haben Kinder die Hüftreifungsstörung nur auf einer Seite, ist es mehrheitlich die linke.
Bei einer Hüftdysplasie ist die Hüftpfanne nicht richtig ausgebildet. Sie ist häufig zu klein und zu steil angelegt und kann den Hüftgelenkskopf nicht vollständig überdachen. Man unterscheidet drei Schweregrade.
- Grad 1 ist die bereits beschriebene Hüftdysplasie, bei der die Hüftpfanne den Hüftgelenkskopf nicht ausreichend abdeckt. Der Hüftkopf droht auszurenken.
- Grad 2 entspricht einer Subluxation, einer inkompletten Hüftausrenkung. Hier sitzt der Hüftkopf nicht mehr richtig im Gelenk, ist aber auch noch nicht vollständig ausgerenkt.
- Grad 3 ist die Luxation, die vollständige Hüftausrenkung. Hier ist die Hüftpfanne derart ungenügend ausgebildet, dass sie den Hüftkopf gar nicht halten kann. Die Luxation als schwerste Form tritt jedoch relativ selten – in etwa 0,2 Prozent der Fälle – auf.

Was passiert, wenn man eine Hüftdysplasie nicht behandelt?
Unbehandelt kann eine Hüftdysplasie zu frühzeitigem Verschleiß führen, denn wegen der zu geringen Hüftkopfüberdachung wird das Gelenk sehr ungleichmäßig belastet. Die Kontaktfläche zwischen Hüftkopf- und Hüftpfannenknorpel ist bei einer Hüftdysplasie deutlich vermindert. Es kommt zu einer extremen Überlastung eines kleinen Gelenkteils und damit auch zu einer Überlastung des Knorpels. Daraus kann eine Coxarthrose (Hüftgelenksarthrose) resultieren, die mit erheblichen Schmerzen und Einschränkungen verbunden ist.
Zu den Ursachen der Fehlbildung
Zur Entstehung der Hüftgelenksdysplasie wird immer noch geforscht. Als gesicherte Risikofaktoren gelten die folgenden:
- Fall in der Familie: Die Fehlbildung ist offenbar vererbbar. Das erklärt, warum sie in manchen Familien und in manchen Regionen gehäuft auftritt.
- Enge im Mutterleib: Entscheidend ist auch die Lage des Ungeborenen im Mutterleib. Mediziner:innen beobachten ein häufigeres Vorkommen der Wachstumsstörung bei Beckenendlagen, Mehrlingsgeburten und Erstlingsgeburten. Häufig wird es für das Ungeborene in den letzten Schwangerschaftswochen eng in der Gebärmutter, vor allem bei Schwangeren, die zu wenig Fruchtwasser in ihrer Fruchtblase haben. Die Beweglichkeit vor allem der Hüftgelenke ist dann stark eingeschränkt. So entsteht Druck auf den Hüftpfannenrand, der die vollständige Ausreifung beeinträchtigt.
- Mütterliche Hormone spielen möglicherweise auch eine Rolle.
Überwiegend, so Dr. Matthias Pothmann, ist ein Zusammenwirken mehrerer der genannten Faktoren die Ursache für eine dysplastische Hüfte. Man weiß auch, dass sich das häufige Strecken der Babybeine negativ auf die Hüftgelenksentwicklung auswirkt. Deshalb sollte man sie nicht zu häufig auf den Bauch legen, wenn sie es noch nicht von allein tun. In Kulturen, in denen Babys auf sogenannte Wickelbretter gebunden wurden, tritt die Hüftdysplasie nachweislich häufiger auf. Demgegenüber begünstigt eine gebeugte und gespreizte Haltung der Beine, wie sie sie beispielsweise im Tragetuch eng am Körper getragen einnehmen, die Knochenentwicklung im Hüftgelenk. Dabei sollten die Beine jedoch nicht herunterhängen, sondern das Kind eher mit tiefem Po und hochgezogenen Kniekehlen im Tuch „hocken“. Ebenfalls günstig ist es, Babys konsequent breit zu wickeln – allerdings sich damit allein nicht die ideale Sitz-Hock-Stellung einstellen.
Diagnose: Wie wird die Fehlstellung erkannt?
In den meisten Fällen wird die Fehlbildung heutzutage im Säuglingsalter erkannt und dann frühzeitig und erfolgreich behandelt. Sind die Pofalten bei Neugeborenen asymmetrisch oder die Beinchen unterschiedlich lang, können das erste Hinweise auf eine einseitige Hüftdysplasie sein. Die Aussagekraft ist aber eingeschränkt und vor allem eine beidseitige Hüftdysplasie ist rein optisch kaum zu erkennen.
Seit den 80-er Jahren kann man Säuglingshüften mit einer Sonografie, also einem Ultraschall, genauer untersuchen und gegebenenfalls den Grad der Fehlentwicklung klassifizieren. In vielen Kliniken wird sie heute schon in der ersten Lebenswoche standardmäßig durchgeführt. Seit 1996 ist die Sonografie der Hüftgelenke, das Neugeborenen-Hüftscreening, in Deutschland fester Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung U3, die zwischen der 4. und 5. Lebenswoche stattfindet. Nach etwa neun Monaten ist die Babyhüfte schon so verknöchert, dass eine Röntgenuntersuchung sinnvoller sein und ein sichereres Ergebnis liefern kann.
Bei vielen Betroffenen aus früheren Geburtsjahrgängen wurde die Hüftdysplasie im Säuglings- und Kleinkindalter übersehen. Laut Dr. Pothmann wurden vor 1984, als die Ultraschalluntersuchung der Säuglingshüfte noch nicht möglich war, 50 Prozent der Hüftdysplasien nicht erkannt.
In leichteren Fällen kann sie (wie bei mir) bis ins junge Erwachsenenalter – und manchmal sogar bis jenseits der 30 – unerkannt bleiben. Die Diagnose wird häufig erst gestellt, wenn Patient:innen über Schmerzen klagen. Dann gibt ein Röntgenbild Aufschluss über die Fehlstellung. Mittels Computertomogramms (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) lassen sich genauere Aussagen über den Zustand des Gelenkknorpels treffen, falls diese erforderlich sind.

Wo sind die Schmerzen bei Hüftdysplasie?
Abgesehen von den unter „Diagnose“ beschriebenen Anzeichen kann eine Schonung des Beines der betroffenen Seite auffallen – das Baby bewegt ein Bein sehr wenig und ungern. Lassen sich die Beinchen nicht gleich weit abspreizen, kann auch das auf eine Hüftdysplasie hindeuten.
Ansonsten zeigen Babys in der Regel keine Symptome und haben keine Schmerzen, da sie noch nicht laufen. Einige betroffene Kleinkinder fangen deutlich später als andere Kinder an zu laufen und können einen watschelnden oder hinkenden Gang entwickeln.
Bei Erwachsenen, bei denen die Hüftdysplasie als Baby oder Kleinkind unerkannt blieb, ruft die verfrühte Abnutzung je nach Schweregrad irgendwann Schmerzen hervor. Viele Betroffene klagen über stechende Leistenschmerzen vor allem in der vorderen Leistengegend und Schmerzen seitlich am Oberschenkel.
Die Beschwerden treten zunächst vor allem nach dem Sport oder anderer erhöhter Belastung, später aber auch im Ruhezustand auf. Viele Patient:innen berichten zusätzlich von plötzlichen Gelenkblockaden oder dem Gefühl, das Gelenk sei instabil. Auch Beschwerden nach längerem Sitzen oder Stehen sowie Rückenschmerzen kommen häufig vor.
Therapie und Operationen
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad und dem gemessenen Winkel von Pfannendach und Knorpeldach. In 80 Prozent der Fälle, in denen bei der Geburt eine Hüftdysplasie vorliegt, reift die Hüfte binnen einiger Wochen von allein nach. Es handelt sich dann um eine physiologische Verzögerung, die keine Therapie, nur eine regelmäßige Kontrolle erfordert. Ratsam ist dennoch, den Säugling in gespreizter Beinhaltung zu wickeln.
Auch in schwereren Fällen sind konservative, das heißt, nicht-operative, Maßnahmen meist ausreichend. Dann kann eine Spreizbehandlung notwendig werden. Eine Spreizhose oder Spreizschiene hält die Beine des Kindes in der richtigen Position, sodass das Gelenk richtig nachreifen kann. In selteneren schweren Fällen, bei denen der Hüftkopf auszurenken droht oder ausgerenkt ist, muss die Immobilisation aber auch mit einer Bandage und oder einem Gips sichergestellt werden.
Wann muss eine Hüftdysplasie operiert werden?
Reichen konservative Methoden nicht aus oder wird die Fehlstellung erst im Kleindkindalter oder noch später entdeckt, muss die Fehlstellung operativ korrigiert werden. Bei Kindern kann ab 18 Monaten eine Salter-Osteotomie erfolgen, mit der eine Überdachung des Hüftkopfes erreicht werden soll. Im Vorschulalter wird häufig eine Azetabuloplastik durchgeführt.
Allerdings ist eine OP selten notwendig: Bei mehr als 90 Prozent der betroffen Kinder entwickelt sich die Hüfte normal, sofern die Hüftdysplasie in den ersten Lebenswochen und -monaten erkannt und konsequent behandelt wurde. Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. Wurden in den ersten 12 Monaten keine Maßnahmen ergriffen, können diese Versäumnisse danach nicht aufgeholt werden.
Im Erwachsenenalter kann die Fehlentwicklung nur noch operativ behandelt werden, wobei Orthopäd:innen bei leichten Dysplasien, die keine oder kaum Schmerzen verursachen, je nach Einzelfall auch gegen die OP entscheiden. Bestehen jedoch Schmerzen und Einschränkungen, kommen verschiedene Operationsverfahren infrage. Häufig wird die Dreifache Beckenosteotomie (auch Triple-Osteotomie) nach Tönnis und Kalchschmidt angewandt. Dabei werden Sitzbein, Darmbein und Schambein durchtrennt, die Hüftpfanne „geschwenkt“ und so mit Schrauben fixiert, dass sie den Hüftkopf besser überdacht. Sofern sich noch keine oder nur eine beginnende Arthrose im Hüftgelenk gebildet hat, kann diese Operation die durch die Hüftdysplasie verursachten Schmerzen und Beschwerden lindern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Ein weiteres in Deutschland etabliertes OP-Verfahren ist die PAO (Periazetabuläre Osteotomie, auch „Beckenosteotomie nach Ganz“), die ich hier genauer vorgestellt habe.

Ist die Arthrose jedoch schon weiter fortgeschritten und die Schäden zu groß, hilft oft nur noch ein künstliches Gelenkersatz.
Kann man mit Hüftdysplasie leben?
Natürlich kann man das. Sehr gut sogar, gerade wenn die Fehlbildung früh erkannt und behoben wurde. Doch auch als Patientin mit einer beidseitigen Hüftdysplasie, die im Erwachsenenalter zwei Beckenosteotomien hinter sich gebracht hat, kann ich heute ein normales und überwiegend schmerzfreies Leben führen.
Bei starker Belastung spüre ich noch eine gewisse Schwere und leichtere Schmerzen im Hüftgelenk. Viel mehr als die Hüfte tun dann aber meine ebenfalls operierten Knie weh. Wanderstrecken mit Gefälle meide ich daher, im Alltag bin ich aber durchaus relativ viel zu Fuß unterwegs.
Welcher Sport ist gut bei Hüftdysplasie?
Schweregrad, Schmerzempfinden und OP-Resultate sind immer höchst individuell. Dennoch sind grundsätzlich bei Hüftdysplasie Übungen sinnvoll, die besonders jene Muskeln trainieren, die das Hüftgelenk stabilisieren. Ungünstig hingegen sind Sportarten, die nur unter Schmerzen ausgeübt werden können, schnelle Bewegungswechsel erfordern und das Hüftgelenk stark belasten. Für nicht geeignet halten Mediziner:innen zum Beispiel Tennis, Squash, Fußball oder Joggen. Als günstig bei Hüftdysplasie gelten gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Wassergymnastik, Radfahren, Yoga und Pilates.
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