Experteninterviews

Hüftdysplasie: Symptome bei Erwachsenen erläutert von Privatdozent Dr. med. Daniel Dornacher

Hüftdysplasie Symptome: Experte PD Dr. Dornacher

Viele Betroffene erfahren erst als Erwachsene von ihrer Hüftdysplasie. Aber wie macht sie sich bemerkbar? Wo sind die Schmerzen bei Hüftdysplasie, welche Symptome treten meist auf? Können auch Knieschmerzen auf die Hüftfehlstellung hindeuten? Ich habe den Hüftdysplasie-Spezialisten PD Dr. med. Daniel Dornacher, Oberarzt an der Orthopädischen Uniklinik Ulm, gefragt.


Hüftdysplasie: Welche Symptome können auftreten?

Als meine beidseitige Hüftdysplasie im Jahr 2002 diagnostiziert wurde, war ich 19 Jahre alt – und schon länger Stammgast beim Orthopäden. Im Alter von 15 Jahren war bei mir Osteochondrosis dissecans in beiden Kniegelenken festgestellt worden, eine Knochenerkrankung direkt unterhalb des Gelenkknorpels, von der vor allem aktive Jugendliche betroffen sind. Tatsächlich war ich seit meinem 12. Lebensjahr begeisterte Volleyballerin gewesen. Bei der Osteochondrosis dissecans kommt es zu einer Osteonekrose, einem fortschreitenden Absterben des Knochens. Zunächst ist nur der Knochen betroffen, später kann die Erkrankung auch den Knorpel schädigen, bis schließlich ganze Knorpel-Knochen-Fragmente beginnen, sich abzulösen und Blockierungen im Gelenk zu verursachen. Bei mir war das auf beiden Seiten der Fall. Ich hatte starke Schmerzen und immer wieder „Gelenksperren“ beim Beugen der Knie. Schließlich wurde ich im Alter von 15 Jahren am rechten und ein Jahr später am linken Knie operiert. Bei diesen Eingriffen wurden die Fragmente wieder angebohrt bzw. angeklebt. Den Sport verlor ich nach diesen beiden OPs aus den Augen.

Klinik, Krücken, Krankengymnastik: Mit all dem hatte ich also schon früh Bekanntschaft gemacht. Vier Jahre später erfuhr ich, dass ich außerdem eine beidseitige Hüftdysplasie habe. Seitdem habe ich mich immer wieder gefragt, ob es womöglich einen Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen gibt: Rührten die Knieprobleme vielleicht von der Hüfte her? Haben die Knie eventuell Schaden genommen, weil ich die Gelenke aufgrund der Hüftfehlstellung mein Leben lang fehlbelastet hatte? Hätte man also damals die Hüfte eigentlich mitröntgen müssen?

Seit dem Start dieser Webseite habe ich mir diesen Fragen wieder häufiger gestellt – zumal ich in Facebook-Gruppen mitbekam, dass auch andere Patient:innen an unterschiedlichen Knieproblemen gelitten hatten, bevor sie von ihrer Hüftdysplasie erfuhren. Einige Betroffene mit Hüftdysplasie klagen außerdem teils über ganz andere Symptome, als ich sie hatte. Viele beschreiben zum Beispiel Schmerzen nach längerem Sitzen sowie Rückenschmerzen – beides Beschwerden, die ich nicht hatte.

Experteninterview mit PD Dr. med. Daniel Dornacher

Hüftdysplasie-Spezialist Dr. Daniel Dornacher
Hüftdysplasie-Spezialist PD Dr. med. Daniel Dornacher, Oberarzt an der Orthopädischen Universitätsklinik Ulm (Foto: RKU)

Über die Hüftdysplasie und ihre Symptome bei Erwachsenen habe ich deshalb mit PD Dr. med. Daniel Dornacher gesprochen. Er ist Oberarzt an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken in Ulm und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit gelenkerhaltender Hüftchirurgie, Sportorthopädie und Kinderorthopädie.

Leben mit Hüftdysplasie: Herr Dr. Dornacher, was sind die ersten typischen Symptome der Hüftdysplasie bei Erwachsenen?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Die häufigsten anfänglichen Anzeichen sind Schmerzen um den großen Rollhügel herum, die seitlich am Oberschenkel zu spüren sind, und Schmerzen in der Leistenregion, die nach vorn ausstrahlen. Betroffene empfinden diese ersten Schmerzen in der Regel, wenn sie aktiv sind, etwa beim Gehen oder bei sportlichen Aktivitäten.

Leben mit Hüftdysplasie: Hat das Hüftgelenk schon Schaden genommen, wenn diese Symptome erstmals auftreten?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Bei ersten Beschwerden um den Rollhügel herum muss noch kein relevanter Schaden im Gelenk vorliegen. Die Schmerzen um den großen Rollhügel herum sind als Überlastungserscheinungen der hierhin einstrahlenden Pomuskulatur zu werten. Dies spielt sich außerhalb des Gelenks ab. Generell müssen die Muskeln bei einer Hüftdysplasie Schwerstarbeit leisten: Während eine normal ausgebildete Hüftpfanne als knöcherner Stabilisator funktioniert, müssen bei einer dysplastischen Hüftpfanne die Pomuskeln die fehlende Stabilisation kompensieren und dabei helfen, den Hüftkopf zu zentrieren. So kommen die Muskeln nicht zur Ruhe und beginnen irgendwann zu schmerzen.

Schmerzen in der Leiste: Bei Hüftdysplasie typische Symptome

Leben mit Hüftdysplasie: Und wie können sich erste Schäden am Gelenk äußern?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Ganz typisch ist ein messerstichartiger, einschießender Leistenschmerz. Wenn dieser Schmerz auftritt, liegt meist schon eine Gelenkläsion vor. Die Ursache für diesen Schmerz ist ein Labrumriss, das heißt, dass das Labrum, also die faserknorpelige Gelenklippe, die wie ein Dichtring außen an der Hüftfpanne sitzt, eingerissen ist. Zu solch einem Riss kann es kommen, wenn der Hüftkopf in der Pfanne etwas zu viel Spiel hat, dies nennt man „Mikroinstabilität“. Das Labrum hat Nervenenden, deswegen tut es so weh, wenn es eingerissen ist und dann bei bestimmten Bewegungen des Hüftkopfes vom Pfannenrand weggezogen wird. Beim tiefen Beugen der Hüfte kann das beschädigte Labrum auch zwischen Schenkelhals und Pfannenrand schmerzhaft eingequetscht werden. Zudem können bei unbedachten Bewegungen beim Gehen plötzlich einschießende Schmerzen durch eine ruckartige Reizung des Labrums auftreten, sodass die hüftstabilisierende Muskulatur über einen Schmerzreflex blitzartig ausgeschaltet wird. Dieses sogenannte „Giving-Way-Phänomen“ kann dann zum Beispiel einen Stolperschritt verursachen.

Hüftdysplasie Symptome: Das Labrum an der Hüftgelenkpfanne kann reißen
Links: In dieser (gemeinfreien) Darstellung sind die Kapselbänder größtenteils entfernt und der Oberschenkelknochenkopf ausgerenkt. In der Mitte sieht man das faserknorpelige Labrum, das wie ein Dichtring um die Hüftgelenkpfanne herum liegt. (In älteren Texten und Zeichnungen (auch in dieser) heißt das Labrum noch „Cotyloid ligament“.) Rechts: Das Ende des Labrums ragt in das Gelenk hinein und vergrößert die Auflagefläche der Hüftgelenkpfanne. Bei einer Hüftdysplasie kann das Labrum ein- oder abreißen und für einschießende Schmerzen in der Leiste sorgen (Abb. : Takuma-sa, de: HellerhoffFemoral acetabular impingement FAI de, zugeschnitten von LMHD, CC BY-SA 4.0)

Wenn der Verschleiß des Gelenkes fortschreitet und erste Knorpelschäden auftreten, können sich entzündliche Veränderungen an der Gelenkschleimhaut abspielen. Aus den anfänglichen, mechanisch verursachten Beschwerden wird mit der Zeit ein entzündlich bedingter Schmerz. Irgendwann beginnt dieser in Ruhezeiten nachzuhallen, das heißt, er tritt auch nachts auf und quält Betroffene zunehmend hartnäckiger.

Leben mit Hüftsdysplasie: Woher kommen die Schmerzen beim Sitzen und die Rückenschmerzen, über die viele Patient:innen klagen?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Wenn man tief sitzt oder zum Beispiel in ein Auto einsteigt, dann rotiert der Schenkelhals in Richtung der Hüftpfanne und quetscht das beschädigte Labrum gegen den Pfannenrand. Das verursacht Schmerzen. Die tiefen Rückenschmerzen haben eine andere Ursache: Der menschliche Körper versucht die mangelhafte Überdachung des Hüftkopfes funktionell zu kompensieren, indem er die Hüftpfanne weiter nach vorn rotiert. Dies gelingt nur über eine Kippung des gesamten Beckens nach vorn, was wiederum zu einem Hohlkreuz führt. Dieses Hohlkreuz überbelastet die facettenartigen Wirbelgelenke, sodass sekundär auch Rückenschmerzen auftreten können. Betroffene, bei denen sich eines oder mehrere der genannten Symptome zeigen, sollten sich vom Orthopäden untersuchen lassen. Je früher eine Hüftdysplasie erkannt wird, desto besser und nachhaltiger können wir weitere Schäden vermeiden.

Leben mit Hüftdysplasie: Gibt es bei der Hüftdysplasie Faktoren, die das Auftreten bestimmter Symptome beeinflussen?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Ja. Wir wissen, dass die Gewebequalität eine große Rolle spielt. Ein schwaches Bindegewebe und weiche Bänder sorgen zum einen dafür, dass ein Mensch sehr beweglich ist, zum anderen aber auch für eine größere Instabilität in den Gelenken. Wenn jemand zum Beispiel im Stand bei gestreckten Knien nicht nur die Fingerspitzen, sondern die ganze Handfläche auf den Boden legen, die Finger 90 Grad überstrecken oder den Daumen an den Unterarm bringen kann, sind das Indikatoren für eine Kapselbandweichheit. Sind die Kapselbänder weich, kann die Hüfte weniger gut im Zaum gehalten werden und die genannten Symptome können verstärkt auftreten. Davon betroffen sind vor allem junge Frauen.


Info: Der Kapsel-Band-Apparat der Hüfte
Der Kapsel-Band-Apparat kann bei HD schmerzen


Der Kapsel-Band-Apparat der Hüfte ist der kräftigste des menschlichen Körpers. Der Begriff „Kapsel-Band-Apparat“ bezeichnet die Einheit von Gelenkkapsel und Bändern eines Gelenks, die in einer engen funktionalen Verbindung stehen: Zusammen sorgen Gelenkkapsel und Bänder für Stabilität im Gelenk. Bei der Gelenkkapsel handelt es sich um eine Bindegewebshülle um das Gelenk herum. Sie wird durch Bänder stabilisiert und verstärkt, von denen, im Falle des Hüftgelenks, einige sich innerhalb der Kapsel befinden, andere schraubenförmig um den Oberschenkelknochenhals herumgewickelt sind. Sind Bindegewebe und Kapselbänder genetisch bedingt eher weich, führt das zu größerer Instabilität im Gelenk. (Alle Abbildungen sind als gemeinfrei gekennzeichnet)


Hüftdysplasie und Knieschmerzen: Gibt es einen Zusammenhang?

Leben mit Hüftdysplasie: Wie hängen Hüft- und Kniegelenke zusammen? Oder anders: Können auch Kniebeschwerden auf eine Hüftdysplasie hindeuten?

PD Dr. med. Daniel Dornacher: Ein reiner, isolierter Knieschmerz ist in der Regel nicht auf eine Hüftdysplasie zurückzuführen. Menschen, die über Schmerzen im Kniegelenk klagen, haben meistens auch ein Knieproblem. Patienten oder Patientinnen jedoch, die zusätzlich zur Hüftdysplasie eine Oberschenkelknochendrehstörung haben, könnten einen vorderen Knieschmerz fühlen, weil die Kniescheiben aufgrund der Drehstörung nicht ausreichend zentriert in der Kniescheibengleitrinne des Oberschenkelknochens laufen. Bei Kindern und Jugendlichen kann es außerdem vorkommen, dass ein Hüftschmerz als Knieschmerz fehlinterpretiert wird, weil dieser über eine Nervenfortleitung hierhin ausstrahlt. Zudem können vor allem kleinere Kinder Schmerzen nicht präzise zuordnen. Bei Kindern und Jugendlichen gilt für den Orthopäden deshalb der Leitsatz: „Schmerzen im Knie vergiss die Hüfte nie!“ Erwachsene können ihr Empfinden differenzierter beurteilen und die Beschwerden genauer lokalisieren. Alles in allem steckt hinter Knieschmerzen eher selten ein Hüftproblem.


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Leben mit Hüftdysplasie: Also ist es nicht zwingend erforderlich, die Hüfte mitzuröntgen, wenn Kinder oder junge Erwachsene über Knieschmerzen klagen?

PD Dr. med. Daniel Dornacher:  Nie zwingend! Deshalb muss vor einer Röntgenuntersuchung immer eine körperliche Untersuchung stattfinden. Wenn wir nach der körperlichen Untersuchung mit spezifischen Tests den Verdacht auf eine Hüfterkrankung haben, dann rechtfertigt sich eine Röntgenuntersuchung der Hüfte.

Leben mit Hüftdysplasie: Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

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