Meine Krankengeschichte (Teil 2)
Ein paar Jahre lang fiel es mir nicht allzu schwer, meine beidseitige Hüftdysplasie zu verdrängen.
Meine rechte Seite war 2006, als ich 23 Jahre alt war, erfolgreich in Dortmund operiert worden, mein Leben nach dem Heilungsprozess normal weitergegangen. Ich hatte mein Studium beendet und in Hamburg als Redakteurin zu arbeiten begonnen. Damals ging ich – mal mehr, mal weniger regelmäßig – auch ins Fitnessstudio, zu „Bauch, Beine, Rücken, Po“, zum „Zumba“ und zum „Bodyfit“ und hatte lange keine nennenswerten Probleme. Sicher: Ab und an zwickte es in der Leiste und an manchen Tagen, vor allem nach stärkerer Belastung, fühlten sich meine Beine und Hüftgelenke schwer an, aber all das war kein Vergleich zu den Schmerzen, die ich vor der Dreifachen Beckenosteotomie der rechten Seite oft gehabt hatte. Links war die Hüftdysplasie ohnehin nicht ganz so stark ausgeprägt und die Beschwerden hielten sich in Grenzen.
Das sollte sich jedoch ändern. 2014, mit 31 Jahren, ging ich mit einem Work-and-Travel-Visum nach Kanada. In Vancouver, der Stadt, in der ich zehn Monate lang lebte und arbeitete, war ich viel zu Fuß unterwegs und arbeitete außerdem in einem deutschen Restaurant als Kellnerin. In dieser Zeit kehrte ein Gefühl zurück, das ich schon von der rechten Seite kannte: ein Schmerz, der sich anfühlte, als sei in der Leiste etwas eingeklemmt. Dieser Schmerz überraschte mich bei der Arbeit im Restaurant und beim Gehen auf der Straße. Zwar verschwanden die Beschwerden auch immer wieder, aber die Abstände zwischen den schmerzhaften Phasen wurden binnen eines halben Jahres immer kürzer. Freunden fiel auf, dass ich humpelte und irgendwann ließen sich die Einschränkungen kaum mehr ignorieren.
Im März 2015 reiste ich von Vancouver aus nach Maui. Bei einer Vulkanwanderung, bei der es erst zwei Stunden hinab und später drei Stunden wieder hinauf ging, hatte ich zum Ende hin so starke Schmerzen in der linken Leiste, dass ich dachte, nicht mehr weiterlaufen zu können.
Es beginnt wieder mit Schmerzen in der Leiste
Zurück in Hamburg vergingen trotzdem noch anderthalb Jahre, bis ich mir endlich eingestand, dass ich mich mit der Hüftdysplasie links auseinandersetzen muss. Ich hatte mich mit Freunden zum Spazierengehen im „Planten un Blomen“ getroffen, als ich wieder einmal kaum vorwärts kam, weil sich etwas in der Leiste verhakt anfühlte und jeder Schritt weh tat. Im Februar 2017 hatte ich einen Termin bei einem Orthopäden – und ging mit einer etwas naiven Hoffnung hin. Mir war klar, dass ich nicht um eine Operation herumkommen würde. Aber müsste es denn unbedingt wieder eine Triple-Osteotomie sein? Gab es nicht vielleicht einen kleineren Eingriff, nach dem ich schneller wieder fit wäre? Leider nein, meinte der Orthopäde. Eine weniger umfangreiche OP würde in meinem Fall nichts bringen.
Er veranlasste eine MRT-Untersuchung. Der Befund kam unter anderem mit den Vermerken „Deutliche beidseitige Hüftdysplasie“, „Hüftgelenkerguss links“, „Labrum-Degeneration links mit zartem Einriss am ventralen Rand“, „Beginnende Coxarthrose beiderseits“ und „Beginnende (…) Knorpelhöhenminderung (…) links“ zurück. Es stand dort aber auch: „Noch ist die Knorpelkappe weitgehend erhalten.“
Der Befund überzeugte meinen Hamburger Arzt davon, dass sich mit einer Dreifachen Beckenosteotomie links noch viel erreichen lässt. Diese sollte aber möglichst bald geschehen, denn das Hüftgelenk hatte schon deutlichen Schaden genommen. Ich war mittlerweile 34 Jahre alt. Seit der OP der rechten Seite waren 11 Jahre vergangen.
Der Arzt sprach sich für die Behandlung in Dortmund aus, auch weil ich mit dem OP-Ergebnis der anderen Seite sehr zufrieden war. Also machte ich einen Termin in der Orthopädischen Ambulanz im Klinikum Dortmund und stellte mich im Mai 2017 erneut dort vor. Auch hier rieten mir die Experten zur Triple-Osteotomie links. Und auch hier sagte man mir, dass ich mit dem Eingriff nicht mehr warten solle. Noch vor Ort vereinbarte ich einen OP-Termin für den 1. Dezember 2017.
Ich war einsichtig, aber auch voller Sorge. Diesmal erschien mir die ganze Organisation sehr viel schwieriger. Als mein rechtes Hüftgelenk operiert wurde, war ich noch Studentin und konnte mich einfach für ein Semester beurlauben lassen. Dieses Mal arbeitete ich in einer Redaktion, in der man sich zweimal überlegte, ob man zwei Wochen Urlaub am Stück einreicht, da man seine Ausfallzeiten vorarbeiten musste. War man krank, fühlte man sich doppelt schlecht – weil man eben krank war und weil man genau wusste, dass die Kolleginnen Mehrarbeit hatten und die Chefetage die Krankmeldung nur widerwillig hinnahm. Meiner Chefin mitzuteilen, dass ich für mehrere Monate ausfallen würde, war eine Sache, der ich nicht gerade freudig entgegensah.
Ich war damals Single und wohnte allein in einer kleinen Wohnung. Für die Wohnung fand ich eine Untermieterin, denn klar war, dass ich nach der OP wieder bei meiner Mutter unterkommen würde. Sie und ihr Mann waren so lieb, in ihrem Gästezimmer Platz für das Pflegebett zu schaffen, das man nach der Dreifachen Beckenosteotomie verordnet bekommt. Ungern machte ich ihnen Umstände, doch natürlich war ich dankbar, dass sie sich in den schwierigen ersten Wochen nach der Operation um mich kümmern wollten.
Triple-Osteotomie links: Wieder in Dortmund, trotz Ärgers mit der Krankenkasse
In den Monaten bis zum Termin musste ich mich unerwartet mit einem leidigen Thema befassen: Streit mit meiner Krankenkasse. Hatte diese den Eingriff in Dortmund vor elf Jahren noch befürwortet und anstandslos die Kosten für den liegenden Krankentransport übernommen, stellte sie sich diesmal quer. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen, MDK, auf dessen Urteil sie sich stützte, argumentierte, ich könne die Triple-Osteotomie ebensogut an einem näher gelegenen Ort durchführen lassen.
Hamburg und Hannover lagen dichter, der Transport hätte die Kasse entsprechend weniger gekostet. Für mich, die ich eine beidseitige Hüftdysplasie habe, kam aber kein anderer Standort als Dortmund infrage. Ich wollte dort operiert werden, wo ich auch mit der anderen Seite gute Erfahrungen gemacht hatte – und wo die Dreifache Beckenosteotomie in Deutschland am häufigsten durchgeführt wird. (Meines Wissens ist das bis heute so.) Heute weiß ich, dass die die Hüftdysplasie auch an vielen anderen Standorten sehr gut operativ versorgt wird, damals war mir das jedoch nicht bewusst. Ich schrieb einen Widerspruch, berief mich auf die freie Arztwahl und recherchierte Argumente. Nach langem Hin und Her konnte ich lediglich einen Kompromiss aushandeln und blieb auf mehreren Hundert Euro Kosten sitzen. Ausführlicher werde ich an anderer Stelle auf den Ärger mit der Krankenkasse eingehen.
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Am 30. November 2017 fuhr ich nach Dortmund und absolvierte alle notwendigen Voruntersuchungen und Aufklärungsgespräche. Nach der stationären Aufnahme lief ich vom Krankenhaus in der Beurhausstraße zum Weihnachtsmarkt. Ein letzter Spaziergang. Die kommenden sechs Wochen würde ich überwiegend im Bett verbringen und frühestens nach zwei bis drei Monaten teilbelasten dürfen. Das Zimmer teilte ich mit einer Frau, die ein paar Jahre jünger als ich war, ebenfalls eine beidseitige Hüftdysplasie hatte und gerade die Dreifache Beckenosteotomie rechts hinter sich hatte. Wir verstanden uns gut und wussten es zu schätzen, dass wir uns austauschen konnten.
Komplikationen nach der OP links
Am nächsten Morgen wurde ich operiert. Abends lag ich wieder auf dem Zimmer. Diesmal hatte es Komplikationen gegeben. Schon im Aufwachraum hatte ich gespürt, dass etwas mit meinem linken Fuß nicht stimmte. „Mein linker Fuß ist taub.“ Ich meine, das war das Erste, was ich sagte, als ich nach der Vollnarkose allmählich wieder zu mir kam. Vielleicht lag es an der PDA, der Periduralanästhesie, vielleicht würde das Gefühl zurückkehren, wenn die Nadel, die in meinem Rückenmark steckte und die auch an den kommenden Tagen Schmerzmittel in meinen Körper leiten sollte, gezogen würde.
Schnell verwandelte sich die Taubheit in furchtbare Schmerzen. Sogar sachte Berührungen am linken Unterschenkel und Fußrücken taten extrem weh. Bald war klar, dass es nicht an der PDA lag, sondern dass ich eine Peroneusparese, eine Fußheberschwäche davongetragen hatte. Während der OP war mein Peroneusnerv verletzt worden, eine Komplikation, die bei Hüftoperationen häufiger auftritt und und Teillähmungen nach sich zieht. Die linke Fußspitze konnte ich kaum mehr anheben. Ich recherchierte mit dem Handy im Krankenbett und geriet in Panik. Viele Menschen mit Fußheberschwäche brauchen eine Schiene, damit sie beim Gehen nicht wegen des hängenden Fußes stolpern. Sie können auch nicht richtig abrollen und entwickeln den sogenannten „Steppergang“, bei dem sie bei jedem Schritt das ganze Bein heben müssen, um nicht hängen zu bleiben. Nicht immer kehrt die Nervenfunktion zurück und wenn doch, kann es Jahre dauern.
In Dortmund ließ man mich in meiner Panik nicht allein, sondern brachte mich umgehend in die Neurologie zur Untersuchung. „Davon erholen Sie sich wieder“, versicherte mir die diensthabende Ärztin und behielt glücklicherweise Recht: Zwar kann ich die Schädigung im Unterschenkel und Fußrücken bis heute leicht spüren, sie beeinträchtigt mich aber nicht mehr. Ich kann normal und ohne Schiene laufen. Allerdings haben die Lähmung und die Nervenschmerzen mich noch lange begleitet und waren rückblickend schlimmer für mich als alles andere, was ich im Zuge der Triple-Osteotomie links durchstehen musste.
Zwei Beckenosteotomien liegen hinter mir
Abgesehen davon erholte ich mich planmäßig. Im Krankenhaus half mir dieselbe sympathische Physiotherapeutin wieder auf die Beine – oder besser an die Krücken – wie fast zwölf Jahre zuvor.
Mit ihrer Hilfe lernte ich einmal mehr, aus der Lage in den Stand zu kommen (denn nach der Dreifachen Beckenosteotomie darf man sechs Wochen lang nicht 90 Grad sitzen) und an Gehhilfen die Treppen sicher hoch und runter zu kommen. Nach zehn Tagen wurde ich entlassen – 2006, nach der OP der rechten Seite, war ich länger, nämlich 14 Tage, im Krankenhaus geblieben. Der liegende Krankentransport, den ich notgedrungen selbst organisiert hatte, war eine absolute Tortur. Wegen Winterchaos und Staus dauerte die Fahrt, während der ich nicht zur Toilette konnte, neun Stunden.
Ich beantragte auch nach dieser OP keine Reha, sondern ging alle zwei Tage zur Physiotherapie. Nach fünf Monaten konnte ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehren. Es dauerte viele weitere Monate, bis ich wirklich meist schmerzfrei war, aber auch das kannte ich schon von der rechten Seite.
Etwas mehr als ein Jahr später folgte die Metallentnahme und ich hielt zum zweiten Mal in meinem Leben ein Tütchen mit vier Schrauben in der Hand, die ein Jahr lang in meinem Körper gesteckt hatten.
Inzwischen sind mehrere Jahre seit dem zweiten Eingriff vergangen. Ich lebe heute überwiegend schmerzfrei, wenn es auch hin und wieder nach langen Märschen oder anderweitiger außergewöhnlicher Belastung noch etwas weh tun kann.
Eine Fernwanderin oder Bergsteigerin wird aus mir nicht mehr. Im Alltag, in dem ich viel zu Fuß unterwegs bin, habe ich aber keinerlei Einschränkungen. Ich bin froh, dass ich die Operation auch links hinter mich gebracht habe – aber auch, dass ich nur zwei Hüften habe.
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