Hüftdysplasie ohne OP? Viele Erwachsene, bei denen die Hüftfehlentwicklung diagnostiziert wird, stehen einem Eingriff kritisch gegenüber. Wann muss eine Hüftdysplasie operiert werden, wann ist möglicherweise Physiotherapie ausreichend? Und was genau leistet so eine Operation? Das habe ich PD Dr. med. Sufian S. Ahmad, Oberarzt der Orthopädie im Annastift Hannover, gefragt.
Hüftdysplasie: OP ja oder nein?
Seit dem Start dieser Webseite erreichen mich immer wieder E-Mails von Betroffenen, die die Diagnose Hüftdysplasie gerade erst erhalten haben. Die Aussicht auf einen operativen Eingriff macht vielen Patienten und Patientinnen Angst. Sie fragen sich, ob nicht möglicherweise eine konservative Behandlung mit Physiotherapie ausreichen könnte. Kann man mit Hüftdysplasie leben, ohne sich einem Eingriff zu unterziehen? Oder brauchen auch Erwachsene tatsächlich immer eine Operation?
Wie jeder operative Eingriff birgt eine Hüftdysplasie-OP Risiken, doch nicht nur die Risiken beschäftigen Patienten, sondern auch die Frage, wie lange sie danach krank sein werden. Einige von ihnen sind zudem von ihrem Orthopäden gewarnt worden: Eine PAO (Periazetabuläre Osteotomie) bzw. eine Triple-Osteotomie sei ein großer, nicht zu unterschätzender Eingriff, der nicht unbedingt sein müsse.
Wichtig ist, sich mit einer Hüftdysplasie grundsätzlich bei einem Spezialisten vorzustellen. Inzwischen gibt es deutschlandweit mehrere Anlaufstellen. Unbedingt ratsam ist auch, sich eine Zweitmeinung einzuholen. Und: Fällt schließlich die Entscheidung für eine Operation, sollten Patienten sichergehen, dass der Eingriff von einem möglichst erfahrenen Hüftchirurgen durchgeführt wird.
Wann muss eine Hüftdysplasie operiert werden? Experteninterview mit PD Dr. med. Sufian S. Ahmad
Aber wann muss eine Hüftdysplasie bei Erwachsenen operiert werden und in welchen Fällen geht es womöglich auch ohne OP? Das habe ich PD Dr. med. Sufian S. Ahmad gefragt. Der Hüftchirurg ist Oberarzt an der Orthopädie im Annastift Hannover. Er führt mehrmals wöchentlich die PAO bei Hüftdysplasie durch und ist darüber hinaus wissenschaftlich aktiv.
Leben mit Hüftdysplasie: Herr Dr. Ahmad, wann muss eine Hüftdysplasie bei Erwachsenen operiert werden? Oder anders: Gibt es Fälle bei Erwachsenen mit Hüftdysplasie, die man mit Physiotherapie statt einer Operation behandeln kann?
PD Dr. med. Sufian S. Ahmad: Ja, die gibt es. Wir müssen aber zwischen „echten Dysplasien“ und „Borderline-Dysplasien“, auch „Grenzdysplasien“ genannt, unterscheiden. Welcher Schweregrad beziehungsweise welche Art der Dysplasie vorliegt, entscheidet unter anderem der CE-Winkel, der Auskunft darüber gibt, wie gut die Hüftpfanne den Hüftkopf überdacht. Bei einem CE-Winkel von weniger als 20 Grad sprechen wir von einer „echten Hüftdysplasie“. Beträgt er zwischen 20 und 25 Grad, liegt eine „Grenzdysplasie“ vor. Obwohl diese Definition in der orthopädischen Welt sehr gängig ist, müssen allerdings viele weitere radiologische Parameter für die Diagnose einer „Grenzdysplasie“ bestimmt werden.
Bei einer „echten Dysplasie“ ist klar: Wird sie nicht chirurgisch behandelt, führt sie zu frühzeitigem Verschleiß, woraus schließlich eine Arthrose resultiert. Bei einer „Grenzdysplasie“ kann man der Instabilität des Hüftgelenks unter Umständen auch mit Physiotherapie beikommen. Man würde hier mit Maßnahmen beginnen, die die Muskulatur um die Hüfte trainieren, um das Gelenk zu zentrieren. Nach meiner klinischen Erfahrung kann diese symptomatische Behandlung tatsächlich Beschwerden lindern und helfen, Zeit zu gewinnen. Sollte dieser konservative Ansatz scheitern, kann man immer noch eine Operation in Erwägung ziehen.
Ob eine konservative Behandlung mit physiotherapeutischen Übungen hilft oder nicht, hängt aber von weiteren Faktoren ab. Entscheidend für den Erfolg sind unter anderem auch der Grad der Überdachung der Hüftpfanne, das Alter, das Gewicht und die allgemeine Bandlaxität der Patienten. Der Begriff Laxität bezieht sich auf die Gewebequalität der Bänder. Menschen mit schwachem Bindegewebe und weichen Bändern sind sehr beweglich, sie haben aber auch instabilere Gelenke. Vor allem junge Frauen neigen zur Hyperlaxität und Hypermobilität. Bei hyperlaxen Patienten würde eine konservative Behandlung mit Physiotherapie vermutlich nicht gut funktionieren.
Wichtig ist außerdem: Wir wissen nicht, inwieweit auch „Grenzdysplasien“ zu Arthrosen führen, weil die Studien sich bisher immer auf „echte Dysplasien“ beziehen.
Der CE-Winkel (englisch: „Center Edge Angle“, auf deutsch auch „Zentrum-Ecken-Winkel“ genannt) ist entscheidend bei der Beurteilung einer Dysplasie. Er gibt Auskunft darüber, wie gut die Hüftpfanne den Hüftkopf überdacht. Seine Schenkel werden von der Längsachse des Körpers und der Verbindungslinie von der Hüftkopfmitte zum oberen Pfannendachrand gebildet. Bei Erwachsenen sollte dieser Winkel größer als 26 Grad sein. Bei einem CE-Winkel von weniger als 20 Grad liegt eine Hüftdysplasie vor. Ein CE-Winkel < 15 Grad ist „sicher pathologisch“.
Hüftdysplasie ohne OP? Unbehandelt führt sie zu Hüftarthrose
Leben mit Hüftdysplasie: Wie kann eine PAO oder eine Triple-Osteotomie Erwachsenen mit einer „echten Hüftdysplasie“ helfen? Was leistet so ein Eingriff?
PD Dr. med. Sufian S. Ahmad: Den Gelenkerhalt. Unbehandelt führt eine „echte Hüftdysplasie“ zu einer sehr schmerzhaften Arthrose, die oft schon in jungen Jahren einen Gelenkersatz, also ein künstliches Hüftgelenk, erforderlich macht. Grundsätzlich stellen Hüftgelenksprothesen bei Arthrose eine überaus erfolgreiche Behandlung dar. Aber eine Hüftdysplasie, die noch keine oder kaum arthrotische Veränderungen zeigt, darf nicht mit einer Prothese behandelt werden.
Leben mit Hüfdysplasie: Warum ist es so wichtig, den künstlichen Gelenkersatz zu vermeiden?
PD Dr. med. Sufian S. Ahmad: Das hängt mit dem Alter der Patienten und der Überlebensdauer von Hüftgelenksprothesen zusammen. Prothesen halten heute idealerweise über zwanzig Jahre, aber eben nicht für immer. Und manchmal muss man sie auch schon viel früher wieder austauschen. Je jünger der Patient oder die Patientin ist, umso häufiger werden also Revisionen notwendig, das heißt, umso häufiger muss die Hüftgelenksprothese ausgetauscht werden. Mit jedem Prothesenwechsel ist die Prognose aber schlechter. Der Gelenkersatz lässt sich mit jedem Mal weniger gut einpassen, unter anderem wegen des voranschreitenden Knochenschwunds. Das kann die Lebensqualität der Betroffenen stark beinträchtigen. Eine Studie aus den Niederlanden zeigt ganz klar, dass man bei Patienten, die ihren Gelenkersatz mit unter 55 Jahren erhalten, mittelfristig deutlich schlechtere Resultate erzielt als bei denen, die erst mit über 55 Jahren einen Prothese bekommen.
Was bringt die Operation bei Hüftdysplasie? Studie zu den Erfolgsquoten der PAO
Leben mit Hüftdysplasie: Aber brauchen Patienten mit Hüftdysplasie nicht irgendwann dennoch eine Prothese, selbst wenn sie sich einer PAO oder einer Dreifachen Beckenosteotomie unterzogen haben?
PD Dr. med. Sufian S. Ahmad: Nicht unbedingt. Im Best-Case-Scenario entwickeln Hüftdysplasie-Patienten nach der OP tatsächlich ihr Leben lang keine Hüftarthrose. Ein realistisches Bild zu den Erfolgsquoten einer Beckenumstellung gibt eine Studie, die ich im vergangenen Jahr mit einigen Kollegen angefertigt habe. Diese Studie basiert auf einer Metaanalyse, für die der OP-Erfolg bei 2268 Patienten und Patientinnen unterschiedlichen Alters ausgewertet wurde, die sich an neun Zentren weltweit einer PAO (Periazetabuläre Osteotomie nach Ganz) unterzogen hatten. Wichtig ist: Diese Kohorten beinhalten auch Hüftdysplasie-Patienten, bei denen die Voraussetzungen vor der OP nicht ideal gewesen waren, deren Hüftgelenke also schon Knorperlschäden oder beginnende arthrotische Veränderungen aufgewiesen hatten.
Untersucht wurde das Überleben des Hüftgelenks nach fünf, zehn, fünfzehn und zwanzig Jahren, wobei „Überleben“ die Dauer meint, über die das Gelenk erhalten werden konnte, bis ein Gelenkersatz notwendig wurde. Nach fünf Jahren beträgt die Quote 96 Prozent, nach zehn Jahren 91 Prozent, nach 15 Jahren 85 Prozent und nach zwanzig Jahren knapp 68 Prozent. Die PAO ist also eine sehr erfolgreiche OP. Vor etwas mehr als dreißig Jahren hat man sie zum ersten Mal durchgeführt und die OP-Techniken sind über die Jahre immer schonender geworden. Die Patienten sind heute viel schneller wieder mobil, weil bei dem Eingriff kein Muskel mehr durchtrennt werden muss.
Wir können heute sagen, dass etwa 70 Prozent der jüngeren Patienten wahrscheinlich nie eine Prothese brauchen werden. Und mehr als 90 Prozent der Patienten sind mit ihrem OP-Ergebnis auch langfristig sehr zufrieden, nicht zuletzt, weil der Eingriff auch Schmerzen beseitigt, die die Hüftfehlstellung hervorruft.
Leben mit Hüftdysplasie: Sie sprachen vom „Best Case Scenario“. Wovon hängt es denn ab, wie erfolgreich und wie nachhaltig der Eingriff ist?
PD Dr. med. Sufian S. Ahmad: Hier können wir vier prädiktive Faktoren ausmachen. Erstens: Zum Zeitpunkt der OP liegt noch keine Arthrose vor. Zweitens: Bei der Operation wird die Gelenkfläche ausreichend erhöht, es wird also die Kongruenz des Gelenks erreicht. Drittens: Es kommt bei der OP nicht zu einer exzessiven Korrektur, die zu einem Impingement führt. Viertens: Der Patient oder die Patientin ist jünger als 40 Jahre.
Es handelt sich also um eine Mischung aus biologischen und technischen Faktoren. Daher ist die beeinflussbare, perfekte technische Durchführung der Operation von wesentlicher Bedeutung hinsichtlich der Prognose. Ansonsten gilt: Der jeweilige Chirurg muss viel Erfahrung haben und die Operation mehrmals wöchentlich durchführen, um die beeinflussbaren Faktoren hinsichtlich der technischen Durchführung zu optimieren.
Kann eine Hüftdysplasie auch bei vorhandenen Schäden operiert werden?
Leben mit Hüftdysplasie: Kann eine Hüftdysplasie operiert werden, wenn die Voraussetzungen nicht optimal sind?
PD. Dr. med. Sufian S. Ahmad: Eine Hüftdysplasie kann man auch bei bereits beginnender Degeneration noch gut operativ behandeln, also wenn schon Knorpelschäden oder ein Labrumriss vorliegen. Das Resultat ist dann nicht optimal, aber immer noch gut. Bei Patienten, die schon Anfang vierzig sind, muss man individuell abwägen. Es kommt dann auf den Gelenkstatus an. Liegt noch keine Arthrose vor, kann man den Eingriff auch bei ihnen noch vornehmen. In der Regel haben die Patienten, die sich erst so spät vorstellen, aber eine „Grenzdysplasie“.
Buchtipp
In „Gelenke im Glück: So läuft alles wie geschmiert“* erklärt die Orthopädin und Ernährungs- und Sportmedizinerin Dr. med. Meike Diessner unterhaltsam und verständlich, wie unser Bewegungsapparat funktioniert und wie wir selbst für Mobilität, Entlastung und Schmerzfreiheit sorgen.
Leben mit Hüftdysplasie: Angenommen, ich habe mich unter guten Voraussetzungen operieren lassen. Was kann ich denn tun, um das Gelenk bis ins hohe Alter zu unterstützen, damit ich möglichst keine Prothese brauche?
PD. Dr. med. Sufian S. Ahmad: Es ist wichtig, dass Sie Übergewicht vermeiden, denn das erhöht die Belastung um ein Vielfaches und ist für jedes Gelenk schlecht. Auch sportliche Aktivität ist grundlegend: Der Knorpel braucht regelmäßige Bewegung und moderate Belastung, um nicht zu degenerieren. Setzen Sie dabei aber am besten auf gelenkschonende Sportarten, die das Gelenk nicht zu stark beanspruchen.
Leben mit Hüftdysplasie: Vielen Dank für das Gespräch!
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