Wird eine Hüftdysplasie bei ihrem Baby diagnostiziert, machen Eltern sich verständlicherweise große Sorgen. Die gute Nachricht: Behandelt man die Fehlbildung frühzeitig und konsequent, entwickeln sich die Hüftgelenke bei mehr als 90 Prozent der betroffenen Neugeborenen normal.
Frisch gebackene Eltern, die noch im Krankenhaus oder spätestens bei der Vorsorgeuntersuchung U3 erfahren, dass ihr Baby eine Hüftdysplasie hat, befinden sich in bester Gesellschaft: Sie ist die häufigste Skelettentwicklungsstörung des Menschen.
Hüftdysplasie beim Baby: Häufigkeit
Zwei bis fünf Prozent aller Babys kommen laut Dr. Matthias Pothmann, Orthopäde und Autor eines Leitfadens zur Hüftdysplasie, jedes Jahr in Deutschland mit dieser Fehlbildung zur Welt. Die Häufigkeit ist bei Mädchen gegenüber Jungen deutlich erhöht – fünf- bis siebenmal öfter tritt die Hüftdysplasie bei Mädchen auf. Die Gründe dafür sind unklar.
Buchtipp
„Hüftdysplasie & Morbus Perthes: Leitfaden für Eltern, Betroffene, Physiotherapeuten und Ärzte“* von Dr. Matthias Pothmann informiert verständlich über Entwicklung und Anatomie der Hüftgelenke sowie über operative und nichtoperative Behandlungsmöglichkeiten.
Da die Hüfte mit der Geburt noch nicht vollständig ausgereift ist, kann eine Hüftgelenksdysplasie auch nach der Geburt noch erworben werden. Das ist allerdings selten der Fall.
Wie äußert sich Hüftdysplasie?
Von außen ist die Fehlbildung bei Babys ausgesprochen schwer zu diagnostizieren. Mögliche (aber keine sicheren!) Hinweise auf eine Hüftdysplasie sind folgende Auffälligkeiten:
- Die Beine des Babys sind unterschiedlich lang.
- Die Po- und Oberschenkelfalten sind asymmetrisch.
- Das Baby bewegt ein Bein sehr wenig und sehr ungern.
- Die Beinchen lassen sich nicht gleich weit abspreizen.
Die Aussagekraft dieser Aspekte ist eingeschränkt. Rein optisch lässt sich insbesondere eine beidseitige Hüftdysplasie kaum sicher erkennen. Da Babys noch nicht laufen, haben sie auch keine Schmerzen oder sonstige Symptome. Eindeutig feststellen lässt sich eine Hüftdysplasie bei einem Baby daher nur durch eine Ultraschalluntersuchung.
Wie erkennt man eine Hüftdysplasie beim Baby?
Die Hüftfehlentwicklung wird heute normalerweise frühzeitig mittels Sonografie erkannt. Viele Kliniken in Deutschland führen diesen Hüftultraschall heute standardmäßig schon in der ersten Lebenswoche durch. Spätestens zwischen der 4. und 5. Lebenswoche sollte jedes Baby per Ultraschall auf eine Hüftdysplasie hin untersucht werden – seit 1996 ist das Neugeborenen-Hüftscreening fester Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung U3. Bei Risiko-Babys (etwa bei Mehrlingsgeburten oder wenn es bereits einen Hüftdysplasie-Fall in der Familie gegeben hat, siehe Ursachen), kann die Untersuchung auch früher erfolgen.
Während der Hüftsonografie werden die Säuglinge auf die Seite in eine Schale gelegt und mit einem Ultraschallgerät untersucht. Babys sind dabei weder Strahlen ausgesetzt noch ist die Untersuchung schmerzhaft für sie. Bei einer Sonografie lassen sich auch der Schweregrad der Fehlentwicklung und u.a. der Winkel zwischen Hüftpfanne und Hüftkopf bestimmen, der maßgeblich für eine eventuelle Behandlung ist.
Wann ist die Hüfte ausgereift?
Etwa 30 Prozent der Säuglinge kommen mit einem „unreifen“ Hüftgelenk zur Welt, wie Dr. Christian Ziegler, Oberarzt und Leiter der Kinderorthopädie am Klinikum der Universität München, hier erklärt. Konkret heißt das dem Oberarzt zufolge: Der Kopf des Oberschenkelknochens steht noch nicht so in der Hüftpfanne, wie er soll. In den meisten Fällen reifen die Hüftgelenke jedoch in den ersten Lebenswochen von ganz allein nach.
Hüftdysplasie beim Baby: Früherkennung ist entscheidend
Interessant ist auch die Frage nach der Verknöcherung: Zunächst bestehen die Hüftgelenke von Babys zu einem großen Teil aus Knorpel. Von der Geburt bis zur vollständigen Verknöcherung vergehen viele Monate. Nach etwa neun Monaten ist die Verknöcherung in der Regel so weit vorangeschritten, dass ein Hüftultraschall womöglich nicht mehr ausreicht und nur noch eine Röntgenuntersuchung ein sicheres Ergebnis liefert.
Und: Je weiter die Baby-Hüfte verknöchert, desto weniger formbar ist das Gelenk – entsprechend schwieriger ist es, mit konservativen (also nicht-operativen) Methoden eine normale Entwicklung der Hüftpfanne zu erreichen.
Behandlungsdauer: Je früher, desto kürzer
Deswegen gilt: Je früher mit der Therapie begonnen wird, umso besser stehen die Heilungschancen. Gleichzeitig ist auch die Behandlungsdauer umso kürzer, je früher die Maßnahmen zum Einsatz kommen.
Dazu einige Zahlen: Kommt ein Säugling mit unreifen Hüftgelenken zur Welt – ist also kurz nach der Geburt der Kopf des Oberschenkelknochens noch nicht richtig von der Hüftpfanne überdacht – reifen die Hüften in 80 Prozent der Fälle binnen der ersten zwei Monate von ganz allein nach, ohne dass es irgendeiner Behandlung bedarf.
Bleibt die Hüftdysplasie bestehen, muss sie jedoch behandelt werden. Zum Einsatz kommen dann konservative, das heißt, nicht-operative, Maßnahmen. Mit ihnen lässt sich eine Hüftdysplasie beim Baby in aller Regel erfolgreich behandeln und beheben. Das gilt auch für sehr stark dysplastische und luxierte (ausgerenkte) Hüftgelenke. Bei mehr als 90 Prozent der betroffenen Kinder entwickeln sich die Hüftgelenke im Anschluss normal.
Operationen sind nur sehr selten notwendig. Die Hüftfehlstellung muss nur dann operativ behoben werden, wenn konservative Maßnahmen nicht ausgereicht haben und eine Restdysplasie verblieben ist oder wenn die Hüftdysplasie erst im Kleinkindalter oder noch später entdeckt wurde.
(Auf Hüftdysplasie-Operationen bei Kindern werde ich an anderer Stelle noch eingehen.)
Hüftdysplasie beim Baby: Auf die Winkel kommt es an
Beim Neugeborenen-Screening können zwei Winkel – der Pfannendachwinkel („Alpha-Winkel“) und der Knorpeldachwinkel („Beta-Winkel“) gemessen werden. Auf Basis dieser beiden Winkel und dem Alter des Babys kann der Zustand der Hüfte bzw. der Schweregrad der Dysplasie oder Luxation einem Typ zugeordnet werden. Die Art der eventuellen Therapien und Maßnahmen liegen dem jeweiligen Typ zugrunde. Diese Klassifikation geht auf den österreichischen Orthopäden Reinhard Graf zurück. Die vollständige Tabelle mit allen Typen und Therapien kann man hier einsehen.
Hüfttypen nach Graf: Ab wann Spreizhose?
- Typ I entspricht einer normal entwickelten und ausgereiften Hüfte. Der Alpha-Winkel beträgt mehr als 60 Grad. Eine Therapie ist nicht notwendig.
- Typ II bedeutet, dass eine Hüftdysplasie vorliegt. Der Winkel zwischen Hüftpfanne und Hüftkopf beträgt weniger als 60 Grad. Es gibt unter Typ II verschiedene Untertypen, je nachdem, wie stark die Reifungsverzögerung ist. Bei Typ II a (+) beispielsweise ist zunächst keine Therapie, nur regelmäßige Kontrolle notwendig. Bei Typ II a (–) muss die Kontrolle in kurzen zeitlichen Abständen erfolgen und eine Spreizbehandlung ist erforderlich. Auch bei allen anderen Untertypen von Typ II ist eine Spreizbehandlung notwendig. Das Baby muss dann je nach Schweregrad entweder eine Spreizhose, eine Hüftbeugeschiene (meistens die Tübinger Hüftbeugeschiene) oder eine Pavlik-Bandage (heute offenbar eher selten) tragen, bis die Hüftgelenke richtig ausgereift sind.
Bei Typ II d beginnt die Hüfte zu dezentrieren, hier ist zusätzlich zur Spreizbehandlung eine Immobilisation etwa durch einen Spreizgips erforderlich.
- Typ III und IV entsprechen einer Hüftluxation. Bei allen Betroffenen ist die sofortige Behandlung zwingend. Außer Typ III a, bei dem ein Krankenhausaufenthalt optional ist, ist eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus, bei der die Hüftposition korrigiert, das heißt, die Gelenke eingerenkt werden, bei allen anderen Typen erforderlich. Das Einrenken von luxierten Hüften kann mit einer Overhead-Extension erfolgen, bei der die Beine in abgespreizter Haltung an Seilen in die Luft gezogen werden. Durch den Zug rutscht der Hüftkopf in die Pfanne.
Alle Babys mit Hüftgelenken vom Typ III und IV werden laut der Klassifikation nach Graf schließlich mit einem Gips immobilisiert, sodass die Hüfte nicht mehr ausrenken und in der richtigen Position ausreifen kann.
Breit wickeln bis Tragetuch: Was gut für Babys Hüften ist
Es heißt, bei leichteren Hüftdysplasien solle man das Baby konsequent breit wickeln. Der Orthopäde Dr. Holger Gross gibt hier allerdings zu bedenken, dass das oft nicht ausreicht. Ausdrücklich warnt er insbesondere vor Spreizwindeln: Mit ihnen könne man die Sitz-Hock-Stellung nicht richtig einstellen. Die für die Nachreife der Gelenke erforderliche Hüftbeugestellung sei auf diesem Wege nicht möglich.
Förderlich für die gesunde Entwicklung der Säuglingshüfte ist das Tragen im Tragetuch. Hierbei ist wichtig, dass die Beinchen nicht herabhängen, sondern dass das Baby möglichst tief, mit den Kniekehlen auf Bachnabelhöhe, im Tuch „hockt“.
Negativ für die Ausreifung der Hüften ist das zu häufige und zu frühe Strecken der Beine. Man sollte Babys deshalb nicht zu oft auf den Bauch legen, wenn sie sich noch nicht selbst umdrehen. Nachteilig ist letztlich alles, was das Baby in seinen Bewegungen einschränkt und am Beugen und Abspreizen der Beine hindert. Das kann auch eine zu dicke und schwere Decke sein.
„Pucken?“ Besser nicht!
Aus demselben Grund stehen Orthopäd:innen dem „Pucken“ sehr kritisch gegenüber, bei dem das Baby in feste Tücher gewickelt wird, weil es sich so leichter beruhigt. In diesem Beitrag werden Studien vorgestellt, die nahe legen, dass diese Technik das Entstehen einer sekundären (also nach der Geburt erworbenen) Hüftdysplasie begünstigen kann. Wichtig ist: Wenn Eltern pucken wollen, sollten sie unbedingt die Streckstellung vermeiden und auf genügend Beinfreiheit achten.
Hüftdysplasie beim Baby: Erfahrungen
Wie eingangs schon erwähnt, befinden sich Eltern, deren Babys eine Hüftdysplasie haben, in bester Gesellschaft – und im Internet gibt es einige Erfahrungsberichte.
- Auf mamafreundin.de erzählt Sandra von der Diagnose und der Behandlung der Hüftdysplasie bei ihrem Sohn. Er bekam fünf Wochen lang eine Tübinger Hüftbeugeschiene verordnet.
- Auch Nadine erzählt auf lebenmitpeng.de von der Zeit, in der ihre Tochter eine Hüftbeugeschiene tragen musste. Sie berichtet davon, wie schwer ihr das Anlegen der Schiene zu Beginn fiel und wie es ihr gelang, ihre Einstellung zum Prozedere zu ändern.
- Jessica von vonknallbisbunt.de erzählt hier in mehreren Teilen von ihren Erfahrungen mit der schweren Hüftdysplasie bei ihrem Baby (Typ IV nach Graf). Sie und ihre Tochter haben eine unglaubliche Odyssee hinter sich. Ihre Tochter lag mehrfach im Gips und wurde mehrfach operiert, sowohl im Baby- als auch im Kindesalter.
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